Ich wurde letztens von einem Leser meines Buches gefragt: „Muss ich mich jetzt wirklich von allen meinen Freunden trennen?“
Vermutlich kennt jeder die Aussage: Das Umfeld prägt den Menschen. Wir sagen es oft mal so dahin, aber sind wir uns wirklich der Konsequenzen bewusst?

Stell dir vor, du lernst Kalle kennen: 10 Kilo Übergewicht, unzufrieden mit seinem Leben und seiner Beziehung, ständig Geldmangel und Stress auf der Arbeit. Kalle kommt jeden Abend gefrustet nach Hause, schmeißt die Glotze an, holt sich das Bier aus dem Kühlschrank, schmeißt ne Tiefkühlpizza in den Ofen und haut sich aufs Sofa. Warum auch nicht? Man muss sich ja auch mal entspannen. Und überhaupt: Gesunde Ernährung ist eh nur was für Reiche, Sport wird überbewertet und selber kochen ist viel zu zeitaufwendig. Aber neben all dem Frust hat Kalle auch noch einen Lichtblick: Bald ist Wochenende! Und da wird erst mal so richtig ausgeschlafen und sich von den Strapazen der Woche erholt.

Was meinst Du, machen Kalles Freunde? Richtig, genau das gleiche. Und was glaubst du würde passieren, wenn plötzlich einer von Kalles Freunden um die Ecke kommen und sagen würde: „Du Kalle, so kann das nicht weitergehen. Lass uns doch morgen mal früher aufstehen und Sport machen. Und überhaupt, wir sollten abends lieber was für uns und unsere Weiterbildung tun anstatt immer von der Glotze zu hängen. Lass uns doch einen Abendkurs machen.“ Kannst du dir Kalles Reaktion vorstellen? Vermutlich wird er seinem Freund einen Vogel zeigen, ihn völlig verdutzt angucken und ihn fragen, was er grade genommen hat. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er aber so weitermachen wie bisher. Und sein Freund? Der passt sich an und gibt nach. Es ist verdammt schwierig, etwas zu verändern, wenn unser Umfeld nicht mitzieht oder noch schlimmer: wenn es uns blockiert.

 

Der amerikanische Autor Jim Rohn behauptet: „Wir sind der Durchschnitt der fünf Menschen, mit denen wir uns umgeben.“ Der britische Psychologieprofessor Daniel Nettle hat in Studien herausgefunden, dass das Umfeld nicht nur unser Verhalten ändert, sondern auch unsere Einstellung prägt. Er schickte Fragebögen an Hunderte Einwohner der Stadt Newcastle, und zwar in zwei verschiedene Stadtviertel. In Viertel A war die Arbeitslosigkeit höher und die Menschen hatten weniger Geld als in Viertel B. Die Studie zeigte, dass sozial und wirtschaftlich benachteiligte Menschen weniger Zutrauen und mehr Misstrauen haben als die, denen es wirtschaftlich besser ging. Soweit vermutlich nicht verwunderlich. Aber das eigentlich spannende war: Anschließend schickte er 52 Freiwillige aus einer anderen Gegend jeweils in eines der beiden Viertel. Sie gingen dort 45 Minuten lang spazieren. Im Anschluss stellte er ihnen dieselben Fragen wie zuvor den Anwohnern. Das Ergebnis: Die Probanden, die in der sozial schwächeren Umgebung unterwegs waren, hatten weniger Vertrauen und mehr Misstrauen als jene, die sich im besseren Viertel aufgehalten hatten. Die Umgebung färbte also auf die Antworten ab. In nur 45 Minuten! Was passiert nun, wenn wir einen Großteil unseres Lebens in einem negativen Umfeld unterwegs sind? Denke doch mal kurz darüber nach: Wo lebst du? In Viertel A oder in B?

 

Und damit wieder zurück zu der Frage meines Lesers: „Muss ich mich jetzt wirklich von allen meinen Freunden trennen?“ Ja – wenn sie dich immer wieder am Weiterkommen hindern und du das ändern willst. Nein – wenn du trotzdem dein Ding durchziehst und dir zu 100% sicher bist, dass sie dir weder im Weg stehen noch Energie rauben. Und Nein – wenn du an deiner Situation nichts ändern willst und alles gut so ist wie es ist.

Klar, im ersten Moment hört sich das vielleicht hart und kalt an. Ist es aber nicht. Denn wie ehrlich und bereichernd ist eine Freundschaft oder Beziehung, die den anderen blockiert oder ihm nicht gut tut?

Die Frage ist, warum es uns so schwer fällt, von Menschen loszulassen- selbst wenn sie uns nicht gut tun. Hier spielt uns unser Bindungssystem einen Streich. Wir haben Angst alleine zu sein. Unser extremer Wunsch nach Bindung gehört zu unseren Urängsten. Die Folge ist: Wir klammern, anstatt loszulassen. Wir bleiben lieber in Beziehungen, die uns nicht gut tun, als alleine zu sein.
Die gute Nachricht ist: es geht auch anders. Meistens fühlen wir uns im Nachhinein sogar richtig gut und frei, wenn wir uns von emotionalem Ballast getrennt haben.

Und: wenn du kein Sozialmonk bist, bleibst du auch nicht lange alleine. Überall dort, wo eine Lücke im Leben geschaffen ist, wird sie wieder gefüllt. Du musst nur den Mut haben, sie zu schaffen.

 

Stelle deine privaten Beziehungen und dein Umfeld also immer mal wieder auf den Prüfstand. Wenn du feststellst, dass du von lauter Kalles umgeben bist, dann frage dich, ob du das willst. Frage dich, ob du wirklich bis zum Ende deines Lebens in dem Kalle-Status verbringen willst. Wenn ja, ok, mach weiter im Takt.
Wenn nein, dann weg damit.